Konflikte - Plädoyer für einen unterschätzen Helfer

Konflikte – Plädoyer für einen unterschätzen Helfer

Wir tun Konflikten Unrecht

Ich gebe seit 20 Jahren Workshops zu Themen wie Konflikte und eigentlich gibt es überall eine ähnliche Sicht darauf:
  • Bitte möglichst keine Konflikte
  • Konflikte sind ein Zeichen dafür, dass etwas falsch läuft
  • Wir sind ein super Team, wir haben keine Konflikte
  • Bei Konflikten müssen wir sachlich bleiben
  • Wer gut kommuniziert, hat keine Konflikte
  • Ich traue mich nicht es anzusprechen, ich will keine Konflikte
Damit werden wir Konflikten aber nicht gerecht und vor Allem stellen wir sie in eine Ecke, in die sie nicht hingehören. Konflikte sind nämlich nichts Bedrohliches und der Idealzustand ist auch nicht konfliktfrei durchs Leben zu gehen. Im Gegenteil, je weniger Konflikte Menschen haben, umso angepasster und unlebendiger habe ich sie oft erlebt. Sie weichen dann Reibung und Auseinandersetzung aus, weil es diesen großen Glaubenssatz gibt, dass Konflikte zu vermeiden sind, manchmal auch für einen hohen Preis.

 

Eine Lanze brechen

Ich möchte heute ein Plädoyer auf Konflikte verfassen, denn Konflikte sind großartig, sie haben eine wichtige Funktion und können wunderbares bewirken. Es wird also Zeit die Ausgrenzung zu beenden und sie mit offenen Armen in unsere Leben lassen. Wir sollten uns fragen, warum machen wir uns eigentlich so ins Hemd vor Konflikten und was kann der Konflikt dafür? Nur weil wir nicht gelernt haben, Konflikte zu bearbeiten und Angst bekommen, ist der Konflikt nicht per se etwas Schlechtes. Ich verteufle auch keinen Berg, nur weil ich Höhenangst habe.

 

Bitte sachlich bleiben!

Wie oft hören wir, dass wir in Konflikten sachlich bleiben sollen, nicht laut werden sollen, unsere Emotionen im Zaum halten sollen. Wieso eigentlich? Wer hat diese Regel aufgestellt und weshalb? Das MIT hat 2004 etwas herausgefunden, genauso kommen wunderbare Traumaforscher wie Michaela Huber oder Bessel van der Kolk zu einer ganz ähnlichen Erkenntnis: Die Amygdala, ein kleiner Bereich unseres Gehirns ist dafür zuständig, Erinnerungen richtig abzuspeichern und dazu brauchen wir zwei Dinge, alle Sachinformationen (Ort, Zeit, Beteiligte, Handlungen etc.), sowie die dazugehörigen Emotionen. Erst wenn wir beides parat haben, werden Erinnerungen wieder lebendig und vor allem korrekt! Andernfalls laufen wir Gefahr uns falsch zu erinnern.

 

Vielleicht kennst Du das Phänomen, dass Du Dir in Ruhe überlegst, was Du Deinem Partner sagen willst, aber irgendwie kriegst Du nicht mehr zusammen, wie die Situation abgelaufen ist, die Dich gestört hat. Trefft Ihr aber aufeinander und die Wut kommt dazu, hast Du plötzlich alles wieder parat und kannst es gut beschreiben. Genau das ist das Ergebnis des MIT. Wir können uns nur richtig erinnern, wenn Emotion und Sachebene ineinandergreifen.

 

Wenn wir also der goldenen Regel folgen, dass Emotionen draußen bleiben sollen, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass unsere Erinnerungen lückenhaft sind und wir nicht den Punkt treffen, um den es eigentlich geht. Dann haben wir lange, aber wenig konstruktive Diskussionen und am Ende stehen Kompromisse, die sich nicht wirklich wie eine gute Lösung anfühlen. Schlimmstenfalls rumort es weiter, aber wir finden nicht den Mut, es nochmals anzusprechen. Wir wollen ja nicht nerven.

 

Emotionen sind nicht förderlich

Wenn ich in Workshops davon erzähle, entsteht oft Entrüstung und die Frage: Ja sollen wir uns dann zukünftig alle anbrüllen, soll das dann konstruktiv sein? Nein, bitte nicht brüllen! Diese Frage zeigt aber auf so wunderbare Weise auf, wie hilflos viele von uns sind, wenn es um Emotionen geht. Wut wird schnell als etwas Bedrohliches und Zerstörerisches erlebt, schließlich fühlt sie sich ja auch ganz schön mächtig und manchmal auch aggressiv an. Oft geht sie auch einher mit Fantasien, den Konfliktpartner auf wenig nette Art und Weise behandeln zu wollen, ohne das an dieser Stelle näher auszuführen.

 

Wenn wir Emotionen also als bedrohlich erleben, dann ist es nur logisch, dass irgendwann einer sagte, sie müssen draußen bleiben. Nun sorgten unsere Gestik und Mimik dafür, dass es schlichtweg unmöglich ist sie draußen zu lassen. Wir können zwar sagen, wir seien ruhig, wir können uns besonnen verhalten, aber unser Gesicht verrät exakt unsere wahre Stimmung und das Gegenüber nimmt diese Stimmung mehr oder weniger bewusst auf und reagiert darauf. Während wir also bewusst versuchen, vernünftig und sachlich zu sein, läuft noch ein zweiter Film parallel ab, der unbewusste Beziehungsfilm und der lässt sich nicht austricksen. Denn wir Menschen reagieren auf Reize, Muster, Blicke, Stimmungen weit schneller und direkter, als wir unser Denken passiert. Denken ist ein langsamer Prozess. Das heißt, unsere Gedanken sind längst gelenkt von dem, was wir spüren und all das lenkt uns von guten Lösungen ab.

 

Da können wir noch so bemüht sein ruhig miteinander zu sprechen, wenn wir uns nicht sicher fühlen, kommen wir sofort in unsere Stressmuster und unser Gehirn schaltet von einem kreativen, beziehungsorientierten Lösungsmodus (social engagement system) in eine Art Überlebensmodus, der sich dann darin zeigt, dass wir anfangen uns zu rechtfertigen oder zu verteidigen (fight), Gesprächen aus dem Weg gehen oder uns krank melden (flight), so tun als wäre nichts oder dem anderen zustimmen um des lieben Frieden Willens (fawn) und manchmal ist die Vorstellung den Konflikt anzusprechen so überwältigend, dass wir innerlich erstarren und gar nichts mehr machen (freeze).

 

Der Vollständigkeit will ich auch noch das fünfte F beschreiben, nämlich fragment. Wenn Konflikte so überwältigend sind, dass wir sie nicht aushalten können, dann hat die Amygdala einen Mechanismus eingebaut, unsere Erinnerungen separat zu speichern, wir zersplitten sie dann in mehrere Teile. Wir speichern dann bspw. Sach- und Emotionserinnerung separat. Wir können uns an den Vorfall erinnern, aber er fühlt sich weit weg an, als wäre es jemand anderem passiert. Gleichzeitig haben wir Panikattacken, wissen aber nicht warum. Das ist eine typische Traumareaktion auf eine überwältigende Situation. Ich will aber gar nicht so sehr auf Traumareaktionen eingehen.

 

Emotionen an sich sind erstmal gar nichts bedrohliches. Ich kann sagen, dass mich etwas wütend macht, ich traurig bin wegen einem Vorkommnis, es mir schwerfällt oder ich mich schäme über etwas zu reden. Ich kann Emotionen zeigen, ohne dass ich sie über dem anderen ausschütte. Diese Form von erwachsenem Umgang mit Emotionen lernen viele nur nicht kennen. Sie haben Emotionen durch bspw. die Eltern als durchaus bedrohlich und einschüchternd erlebt und lange arbeitete elterliche Erziehung genau damit, Emotionen groß zu machen und zu zeigen, damit klar ist, wer die Autoritätsperson ist. Denken wir nur an den Klassiker: ernster Blick, drohende Geste und der Satz „ich zähle jetzt bis 3“. Ich erinnere mich jetzt noch dran, wie mein Herz als Kind pochte, wahlweise aus Angst oder vor Wut. Aber das schadet dauerhaft, weil es keinen gelassenen Umgang mit Emotionen schafft. Statt also Emotionen rauszulassen, was eine Illusion ist, heißt der richtige Lösungsweg, mit Emotionen erwachsen umgehen zu lernen und vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen, die das auch tragen können. Dann sind Konflikte auch nicht mehr bedrohlich.

 

Erwachsenes Verhalten ist sachlich

Kinder sind emotional, Erwachsene sind sachlich. Dieser Mythos geht Hand in Hand mit der Überforderung mit Emotionen umzugehen. Erwachsene sind nicht weniger emotional als Kinder, einfach weil Emotionen zu den Grundfunktionen der menschlichen Psyche gehören. Menschen haben Bedürfnisse, wenn diese erfüllt oder ignoriert werden entstehen Emotionen und diese lassen uns handeln. Diese Kausalkette zeigt, dass Emotionen weder gut, noch schlecht sind, sie sind einfach da, sie sind nicht verhandelbar und sie lassen sich auch nicht aus der Gleichung eliminieren. Außer wir haben so schlimme Dinge erlebt, dass wir nie wieder so emotionale Zustände erleben wollen, dann können wir sie abspalten und verdrängen und glauben dann, wir hätten keine. Manche glauben dann, dass sie „Sachmenschen“ seien und logisch sind anstatt emotional. Aber so wenig wir ohne Emotionen sein können, so wenig gibt es etwas wie Sachmenschen. Es gibt Menschen mit einem guten Zugang zu ihren Emotionen und es gibt Menschen mit weniger gutem Zugang zu ihren Emotionen. Anders als bei Autos gibt es uns Menschen nicht als Diesel oder Benziner, sondern einen Typ Menschen und alle fahren mit demselben Treibstoff und der sind maßgeblich Bedürfnisse und Emotionen.

 

Konflikte sind normal

Konflikte sind erstmal undramatisch und normal. Wir haben täglich Dutzende bis hunderte, nur viele davon merken wir gar nicht, weil wir sie intuitiv lösen. Wenn morgens mein Wecker klingelt und ich am liebsten weiterschlafen will, habe ich bereits den ersten intrapersonellen Konflikt, also einen Konflikt in mir drin. Jeden Morgen schaffe ich es, ihn zu lösen, so wie viele andere auch. Sie erreichen in meiner Dramaskala gar nicht den Schwellwert und ich bleibe deshalb entspannt. Und dann gibt es die Konflikte, die mich unruhig machen. Aber auch da ist der Konflikt selbst meist erstmal nur eine Art von Meinungsverschiedenheit, über die man reden könnte. Herausfordernd wird es ja nur durch das, was in uns passiert. Werden alte Ängste getriggert? Werden wir überwältigt und fühlen uns hilflos? Sind wir mit starken Emotionen konfrontiert und verwischen die Grenzen aus alten Erfahrungen und aktueller Auseinandersetzung? Dann sind wir plötzlich nicht mehr erwachsen, sondern haltlos wie Kinder.

 

Hier passiert eine Verwechslung von Innen und Außen. All die unangenehmen Gefühle entstehen in uns, weil unsere ganz individuellen, kindliche Erfahrungen getriggert werden. Das hat mit der äußeren Situation, dem Konflikt erstmal gar nicht viel zu tun. Jemand anders könnte womöglich viel gelassener oder viel schlechter mit derselben Situation umgehen, einfach weil andere Erfahrungen in ihm hervorgeholt werden. Der Konflikt ist wie ein Spiegel, der uns zeigt, was in uns noch nicht geheilt ist. An sich ist er einfach nur da und nicht bedrohlich, auch wenn wir das völlig anders erleben.

 

Der pampige Vermieter

Ich gebe Dir ein Beispiel. Ein Klient hatte eine Auseinandersetzung mit seinem Vermieter. Er wollte ausziehen und es ging um Schönheitsreparaturen, die noch zu machen waren. Der Mieter schickte dem Vermieter Freitag abends eine Whatsapp und machte einen Vorschlag, wie man es lösen könnte. Kurz, knackig und fair, um die Sache aus dem Kopf zu kriegen. Der Vermieter war gestresst, ärgerte sich über die Nachricht und pampte zurück, was das soll. Für ihn war schon Wochenende, die Arbeit stresst ihn eh und dann kommt da in seiner Freizeit noch so eine Nachricht daher. Diese pampige Antwort reichte schon aus, dass der Mieter aktiviert war, sein Nervensystem drehte auf und in seinem Kopfkino liefen schon Anwaltbriefe und hohe Kosten ab. In seinem Kopf legte sich der Mieter schon Argumente zurecht, wertete den Vermieter ab und wurde abwechselnd wütend und ängstlich. Er reagierte so intensiv, weil er wenig Vertrauen hat. Als Kind eskalierte beinahe jede kleine Situation zuhause und führte zu Bestrafung und Standpauken und diese Situation triggert genau diese alten Erfahrungen. Das war es, was ihn umwarf, nicht die reale Diskussion um die Kosten für Malerarbeiten.

 

Nach einer Krisenstunde konnte der Mieter Vergangenheit und Gegenwart wieder emotional trennen und verstand, dass die heutige Situation nicht zu vergleichen ist mit den schlimmen Erfahrungen aus alten Zeiten. Er fasste seinen Mut zusammen und rief den Vermieter am Montag an. Sein Herz pochte dennoch und er fühlte sich wieder wie 5 Jahre, aber er verstand den Mechanismus und wurde nicht mehr überwältig. Der Vermieter hob ab und begrüßte ihn ganz freundlich und bedankte sich für den Anruf. „Danke, dass Sie anrufen, ich wollte mich auch schon melden. Es tut mir leid, wie ich Freitag reagiert habe, sie haben mich einfach auf dem falschen Fuß erwischt. Bitte erklären Sie mir doch Ihren Vorschlag nochmal in Ruhe. Dann würde ich Ihnen anschließend erklären, was mir wichtig ist.“

 

Schlagartig war der Puls normalisiert und ein normales Gespräch konnte beginnen. Plötzlich fühlte er sich wieder erwachsen. Außer dass er ziemlich erschöpft war, weil die Anspannung schlagartig nachließ, verlor der Konflikt all seinen Schrecken. Der Konflikt selbst war, nüchtern betrachtet, nur eine Meinungsverschiedenheit was Schönheitsreparaturen angeht und eine pampige Antwort, die man im nächsten Gespräch klären könnte. Erst das fehlende Urvertrauen des Mieters machte den Konflikt zu einer kaum zu ertragenden Situation und einem schlaflosen Wochenende.

 

Don’t blame the conflict

Wir sollten unterscheiden lernen, was der Konflikt ist und was unsere Reaktion darauf ist. Dadurch entschärften wir den Konflikt, weil wir nicht mehr so viel hineinprojizieren und haben dadurch auch nicht mehr den Drang Konflikte um jeden Preis vermeiden zu wollen. Wir müssen sie dann nicht mehr verteufeln, sondern können gelassen bleiben. Wir können erkennen, dass sie uns das Leben nicht schwer machen wollen, denn letztendlich weisen sie ja nur darauf hin, dass es etwas in uns selbst zu klären, zu verstehen, zu lernen oder zu entscheiden gibt.

 

Natürlich ist das unangenehm! Natürlich piekt das! Natürlich sorgt das für schlaflose Nächte! Natürlich ist das kein Spaziergang!

 

Schließlich werden wir ja mit leichtem bis intensivem Nachdruck aufgefordert bei uns selbst hinzuschauen und Dinge aufzuarbeiten, die im Verborgenen schwelen und gammeln. Gut, dass es Konflikte gibt, denn sie warnen uns davor, dass etwas vor sich hingammelt, dass uns den Magen verderben kann, oder noch mehr. Sie fordern uns auf, endlich gut auf uns zu achten. Sie bremsen uns ein nicht weiter in die falsche Richtung weiterzulaufen. Sie zeigen uns auf, dass unser Prozess gerade stagniert und es Arbeit zu erledigen gibt, damit wir nicht im dauerhaften Aushalten, Davonlaufen oder Kämpfen landen.

 

Manchmal müssen sie dafür laut sein, damit sie gegen unser Verdrängen ankommen und uns stark genug rütteln, damit wir aktiv werden. Ein Hoch auf Konflikte, sie meinen es wirklich gut mit uns. Also lasst sie uns feiern und jedem Konflikt Aufmerksamkeit schenken und sie respektvoll behandeln als wertvolle Begleiter, die uns wie Leitplanken durchs Leben tragen und unseren Wachstumsprozess fördern. Sie helfen uns, unsere Emotionen zu entdecken und mit ihnen umgehen zu lernen. Sie helfen uns Nein sagen zu lernen und unsere Bedürfnisse ernst zu nehmen und sie sorgen dafür, dass wir ein Leben gestalten, das in die Richtung geht, die uns guttut. Und mal ehrlich, würden wir auf sie eingehen, wenn sie nur sanft an der Tür klopfen würden?

 

Das heißt aber noch lange nicht, dass wir sie auch immer reinbitten müssen. Auf unsere Bedürfnisse achten heißt auch, eine gesunde Beziehung zu Konflikten aufzubauen. So hilfreich sie auch sind, manchmal fordern sie viel von uns viel ab oder überfordern uns. Wir dürfen lernen zu dosieren! Lassen wir sie auf einen Kaffee rein oder gründen wir gleich eine WG zusammen? Wie viel Konflikt darf es denn sein?

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