Gedankenexperiment
Vertrauen ist die Basis für Alles, was wir tun und wie wir es tun. Wenn wir lernen besser zu vertrauen, oder überhaupt zu vertrauen, dann können wir „beispiellosen menschlichen Fortschritt erleben“ (Prof. Francis Frei, Harvard Business School).
Nur was wäre, wenn Vertrauen keine sonderlich hoch ausgeprägte Kompetenz bei uns ist? Es gibt da durchaus ein paar Anzeichen dafür und darum möchte ich Dich auf eine kurze Reise einladen, die mit der provokativen Frage beginnt, was wenn wir Menschen gar nicht gut vertrauen können und es obendrein nicht merken?
Ich weiß, das klingt seltsam. Natürlich können wir unseren Freunden, Familie und Partnern vertrauen. Natürlich haben wir eine Vorstellung von Vertrauen und die leben wir doch auch jeden Tag. Und dieser Widerstand darf sein und ist gut, denn er stabilisiert unsere Überzeugungen, an denen wir ungern rütteln. Denn neben Vertrauen brauchen wir Menschen und die entsteht, indem wir Irritationen möglichst geringhalten.
Ich mag Dich einladen, diese Sicherheit für einen kleinen Moment zu verlassen und Dich auf dieses Gedankenexperiment einzulassen. Denn nur wenn wir die sicheren Häfen verlassen, können wir eine bessere Version von uns selbst werden und dazu braucht es manchmal ein bisschen Mut, Dinge loszulassen, die wir für selbstverständlich halten.
Vertrauen
Als ich angefangen habe, mich mit dem Thema Vertrauen intensiv zu beschäftigen, durfte ich die Vorstellung loslassen, dass wir Menschen das von Grund auf können. In meiner Vorstellung war Vertrauen so etwas, wie eine Kompetenz, die vielen in die Wiege gelegt wird, die viele einfach haben, weil sie so selbstverständlich ist wie schlafen, essen oder reden. Natürlich dachte ich, dass auch ich vertrauen kann, wieso auch nicht?
Heute würde ich sagen, Vertrauen ist eine der herausforderndsten Kompetenzen, die man überhaupt lernen kann, weil sie so viele Disziplinen und Fachbereiche einschließt. Vor Allem aber ist es eine schwer erlernbare Kompetenz, weil sie stark mit Emotionen verhaftet ist, vor Allem mit Angst und Unsicherheit und beides macht uns das Lernen sehr schwer.
Warum wir Angst haben zu vertrauen, mag ich noch genauer beschreiben in diesem Text, neben den Disziplinen, die es zu verstehen gilt und Wegen heraus aus dem Dilemma. Und es ist ein Dilemma, denn Vertrauen ist nicht nur keine selbstverständliche Kompetenz und eine schwer erlernbare Kompetenz. Es gibt auch keinen Ort dafür, an dem sie geschult wird und gleichzeitig ist sie ist die Grundlage für alles menschliches Zusammenleben. Klingt absurd? Genau so ging es mir auch, als ich mich damit näher beschäftigte.
Nicht selbstverständlich
Je sensibler ich für das Thema wurde, desto mehr Aspekte tauchten auf und ich will einen großen Bogen spannen. Es gibt eine Art Makroebene und damit meine ich so etwas, wie die menschliche Geschichte der letzten 150 Jahre. Und es gibt eine Mikroebene, so etwas wie persönliche Biographien oder noch kleiner, die allgemeine Funktionsweise unseres Nervensystems und unseres Gehirns. Ich arbeite mich von Mikrokosmos nach Makrokosmos vor und mit diesen Erkenntnissen möchte ich dann die Art und Weise betrachten, wie wir miteinander umgehen, wie wir das Arbeitsleben gestalten und unsere Wirtschaft und Politik betreiben
Aufgaben unseres Gehirns
Unser Gehirn hat von Grund auf zwei große Hauptaufgaben, wenn man es stark runterbricht und vereinfacht. Die erste Aufgabe, und sie klingt erstmal sehr martialisch, ist es unser Überleben zu sichern. Natürlich ist das einleuchtender, wenn wir den Menschen in Zeiten sehen, in denen er in Höhlen lebte und auf der Jagd war, nur hat sich unser Gehirn seitdem nicht maßgeblich verändert. Noch immer gibt es einen Mechanismus, der dafür sorgt, und der u.A. Neurozeption genannt wird.
Neurozeption beschreibt das permanente, unbewusste Scannen unserer Umgebung, ob wir sicher sind. Unser Gehirn glüht förmlich, denn das ist eine permanente Höchstleistung. Während wir bewusst um die 20 bit pro Sekunde Informationen aufnehmen können, passiert die Neurozeption angeblich mit bis zu 2 Billionen Bit Verarbeitungsrate pro Sekunde. Unser autonomes Nervensystem verarbeitet dabei in primitiven Hirnarealen Unmengen an Informationen und schätzt permanent die Lage ein, ist sie sicher, bedrohlich oder lebensgefährlich.
Sich in Sicherheit zu wissen und zu bringen, ist damit das größte und primäre Anliegen unseres Nervensystems. Bedrohlich muss dabei nicht heißen, dass wir körperlich in Gefahr sind, bedrohlich kann auch schon eine Email des Vorgesetzten sein, geschrieben in ernstem Ton und hoher Dringlichkeit. Bedrohlich kann allein schon der Satz des Partners sein, dass man etwas wichtiges zu bereden habe, ohne gleich zu sagen, worum es geht.
Wir sind also eingeladen zu verstehen, dass Sicherheit für unser Nervensystem ein fragiles Gebilde ist und der Alarm schon viel früher losgeht, als wir uns das meist vorstellen. Es braucht also gar keine Statistiken über schwer bedrohliche und massiv einschneidende Erlebnisse, die Menschen überstehen.
Irritationen überall
Ich will auch nicht auf diese schweren Themen fokussieren, sondern auf die vielen dutzenden Irritationen täglich, die unser Nervensystem aktivieren und zumindest gelben Alarm schlagen, dass wir uns nicht sicher fühlen. Natürlich wird der Alarm umso größer, je mehr negative und schwere Erfahrungen wir bereits zuvor gemacht haben.
Dann wird unser Sympathikusnerv aktiv, wir werden aktiviert, teilweise überaktiviert, je nachdem wie unsicher sich die Situation anfühlt. Das geht vom Wunsch, etwas klären zu wollen, bis hin zu Sorge, Angst, Panik und irgendwann übernimmt der dorsale Vagusnerv und schaltet uns ab wie einen Flipperautomaten, gegen den man getreten hat – tilt. Je nachdem wir stark wir aktiviert sind, greifen wir unbewusst wir auf fünf Reaktionsmuster zurück, die 5 F:
Fight:
Wir haben das Gefühl, kämpfen zu müssen, suchen Verbündete, werten den „Gegner“ ab, sammeln Argumente, um zu den anderen „klein“ zu machen und wir wollen „gewinnen“ und uns durchsetzen, weil es sich anfühlt, als ginge es um gewinnen oder verlieren. Wir erleben Wettbewerb, vergleichen uns oder landen teilweise in Perfektionismus, weil wir uns nichts nachsagen lassen oder nicht schwach dastehen wollen.
Flight:
Oder wir ziehen uns zurück, hissen die weiße Fahne, weichen auch, melden uns krank, kündigen, reden nicht mehr mit den Menschen, vermeiden das Thema
Fawn:
Wir passen uns dem anderen an, machen es ihm recht, pleasen, sichern jede Entscheidung ab, holen uns für alles eine Erlaubnis und versuchen zu gefallen aus Angst.
Freeze:
Wir erstarren innerlich, spüren uns nicht mehr, können nichts mehr sagen und kapseln uns ab von der Situation.
Fragment:
Unsere Erfahrungen zersplittern, so dass Emotionen und Erinnerungen an Situationen separat gespeichert werden, wodurch schlimme Ereignisse in der Erinnerung nicht mehr permanent triggern.
Diese Verhaltensweisen findet man in der Tierwelt in Reinkultur sehr ausgeprägt und tatsächlich ähneln sich die Verhaltensweisen, wenngleich sie bei uns Menschen differenzierter sind und dadurch aber auch weniger leicht zu erkennen. Tiere kämpfen, laufen davon, stellen sich tot und liegen einfach bewegungslos da oder unterwerfen sich durch bspw. Kopf senken. Notiz am Rande. Das erleben wir übrigens im Kleinen auch, wenn wir spazieren gehen und uns kommt jemand entgegen. Meistens senkt einer von beiden den Kopf, schonmal drauf geachtet?
Eins nach dem anderen
Die zweite große Aufgabe unseres Gehirns kann sich erst richtig entfalten, wenn die Sicherheitsabteilung grünes Licht gibt. Wenn wir uns sicher fühlen, zutiefst sicher fühlen, in den Räumen, mit den Menschen, den Beziehungen, der Aufgabe und den Rahmenbedingungen. Jetzt könnte man hier stutzig werden, denn wann ist das schon der Fall?
Es klingt eher wie die Ausnahme und das ist es auch, außer man schenkt diesem wichtigen Bedürfnis des menschlichen Nervensystems aktiv Aufmerksamkeit und schafft ein Ökosystem, in dem sich der Mensch sicher fühlen kann. Aber das ist Arbeit und es ist eine zu erlenrnende Kompetenz. Das wiederum ist eine permanente Tätigkeit, denn Irritationen sind Normalität und passieren permanent und jede sorgt für größeren oder kleineren Alarm. Unser Hauptjob heißt also eigentlich für Irritationsarmut sorgen und uns gegenseitig dabei helfen, dass wir uns sicher fühlen. Ich weiß nicht, wie es Dir geht, ich erlebe die (Arbeits-) welt nicht so, als wäre darauf ein großer Fokus im Alltag. Warum es wichtig ist? Es geht doch auch seit Jahrhunderten ohne?
Erst wenn wir diesen safe state erreicht haben und immer wieder herstellen, können wird die zweite Funktion unseres Gehirns aktivieren, den verntralen Vagusnerv in Verbindung mit dem so genannten social engagement system. Hier wird es spannend, denn erst wenn wir uns sicher fühlen, haben wir auf die sekundäre Funktionen Zugang, Dinge wie Vertrauen, Beziehung, Kreativität, komplexes Denken, Lösungsdenken, Liebe und Leistungsfähigkeit. Erst wenn wir uns sicher fühlen, können wir uns zugewandt sein, gemeinsam gestalten, trauen uns Risiken einzugehen, neue Ideen entwickeln und unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, lebendig zu sein anstatt dafür zu sorgen eher zu überleben, durchzukommen, auszuhalten. So unglaublich das klingt, ich habe viele Menschen im Coaching gehabt, die diesen Zustand in ihrem Leben noch nicht erlebt haben und mich ungläubig ansahen, als ich davon erzählt habe. Meiner Erfahrung nach ist es keine Selbstverständlichkeit das zu erleben.
Der kulturelle Rucksack
Wenn wir nun mal einen Ausflug in den Makrokosmos machen, dann es nochmal klarer, warum es keine Selbstverständlichkeit ist und wo die Herausforderung liegt. Ich vereinfache in den folgenden Zeilen nochmals sehr stark, dessen bin ich mir bewusst. Mir geht es nicht darum, historische Zusammenhänge lückenfrei darzustellen. Es wird auch nicht Einzelbiographien gerecht, dennoch will ich auf Muster hinweisen und das gelingt mit Verallgemeinerung manchmal einfacher. Es sei mir verziehen, dass es nun ein paar Schubladen gibt, die ich öffne.
Unsere Urgroßeltern und Großeltern haben 2 Weltkriege durchlebt und deren Nervensystem war nicht nur Momente in Alarm durch Unsicherheit, sondern teilweise Jahre. Die gesamte NS Zeit war eine Zeit tiefster Verunsicherung, Angst und Todesangst. Wir Menschen gehen damit um, indem wir Muster entwickeln und uns den Gegebenheiten anpassen (siehe 5F).
Die Großelterngenerationen haben größtenteils starke Muster entwickelt in Richtung Überleben. Man kann es in kleinen, alltäglichen Mustern finden, wie viele von uns kennen. Vielen ist bspw. das Thema Essen ein bekanntes. Wer kennt nicht Omas „Junge, iss was, Du bist ganz abgemagert“. Was wir vielleicht leicht genervt abgetan haben, hat ihren Ursprung in Zeiten des schweren Mangels und ist eine Copingstrategie. Diese Muster werden später nicht mehr abgelegt, wenn man die Ursachen nicht für sich aufarbeitet und wieder Sicherheit aufbaut und Vertrauen darin findet, dass fortan genug zu essen da ist.
Oder der Opa, der nicht über den Krieg redet als ein Muster, um damit zurecht zu kommen und nicht wieder überwältigt zu werden. Wir müssen uns klar machen, dass ein großer Prozentsatz dieser Menschen über lange Zeit Todesangst ausgesetzt war durch Bombenangriffe. Sie erlebten tiefste Unsicherheit durch Geldentwertung, wenn ein Brot plötzlich 50 Milliarden Mark kostete und man nicht mehr wusste, ob man mit seinem Ersparten noch Nahrung kaufen kann. Es herrschte großflächliche Zerstörung und ein Regime, das auf Einschüchterung, Massenvernichtung und absolutem Gehorsam aufbaute und keine moralischen Grenzen kannte, wenn es um Massenmord ging. Das ist nur schwer vorstellbar.
Diese Erfahrungen brennen sich ein und werden weitergegeben, wie eine Forschungsgruppe der Bundesregierung herausfand. Was Traumatherapeuten schon lange klar ist, solche Erfahrungen können weitergegeben werden, wie diese Forschungsgruppe anhand von Holocaust Überlebenden herausfand. Die Funktionen sind natürlich komplex, ich will hier nur wieder vereinfachte Beispiele geben. Auf einer einfachen Ebene ist es darstellbarer und reicht für diesen Gedankengang: Die Mangeldenke der Kriegsüberlebenden prägte sich ein als ein Glaubenssatz der Kinder, also der Elterngeneration, die in den Fünfzigerjahren zur Welt kamen. Sie glaubten, dass nicht genug für alle da ist, dass man hart dafür arbeiten muss, stark sein muss. Das Fatale war, dass noch ein Faktor dazukam, der diesen Glaubenssatz verfestigte.
Babyboomer
Es waren geburtenstarke Jahrgänge, die so genannten Babyboomer. Sie wuchsen auf in hoher Konkurrenz, einfach weil es viele von ihnen gab. Konkurrenz in der Schule, Konkurrenz um Ausbildungsplätze, Konkurrenz um gute Jobs. Ausgestattet mit der Mangeldenke der Eltern, plus den eigenen Erfahrungen der großen Konkurrenz, erlebten auch hier ganze Generationen die Welt nicht als sicheren Ort und waren stark in den Aushaltemustern gefangen. Hinzu kamen auch hier weitere Ereignisse, wie den Contergan-Skandal, die Ölkrise, Bau der Berliner Mauer, Vietnamkrieg und vieles mehr.
Sie formten heute als Entscheider eine Wirtschaft der Überstunden, des Leistungsdrucks, des ständigen Vergleichens mit anderen und des Konkurrierens um Beförderungen und Gehaltserhöhungen. Sie ließen sich nicht krankschreiben, ginge nicht zum Arzt und wuchsen mit Glaubenssätzen auf wie: „ein Indianer kennt keinen Schmerz.“ Emotionen waren verpönt, Zahlen waren die einzig wichtige Währung, denn sie war messbar und das war relevant als Ersatzwährung für Vertrauen. Ausbrüche versuchen die 68er und die Hippies, die konkurrierende Werte lebten.
Y,Z, Alpha
Diese Generation brachte dann die Generation X zur Welt, die in meiner Erinnerung, außer Tschernobyl relativ katastrophenfrei aufwuchs und eine erste Idee davon bekam, wie sich ein Leben jenseits von Volkstraumata anfühlen kann. Sie machten erste Versuche Richtung Selbstverwirklichung, die nun in den Millennials und der Generation Alpha eine Art Hochphase erleben. Diese Generationen haben wieder andere belastende Einflüsse, wie Selbstverwirklichung als soziale Verpflichtung, die in den sozialen Medien als Personal Brand zur Schau gestellt werden muss, Klimakrise, anstehende Wasserkriege. Aber das ist eine andere Geschichte.
Das alles ist ein kleiner Ausschnitt unserer Tradition, unseres kulturellen Erbes und es bietet unzählige Unsicherheitsfaktoren, unzählige Alarmmomente für Neurozeption und damit für wenig Sicherheit, damit wenig Ungehetztheit, Vertrauen und Ruhe, um langfristige und nachhaltige Entscheidungen treffen zu können. Denn das können wir aus einem Status der Unsicherheit heraus nicht gut. Dann gilt es nur kurzfristig zu entscheiden, manchmal sogar nur jetzt-Entscheidungen.
Kurzfristigkeit
Hier gibt es einen Teufelskreis. Je mehr unser Nervensystem in Unsicherheit ist, desto weniger gut können wir auf langfristige Entscheidungsfähigkeiten zurückgreifen. Je weniger wir das können, desto mehr Entscheidungen treffen wir kurzfristig und nicht nachhaltig, die schnell wieder zu Unsicherheitsfaktoren werden. Unser ganzes politisches System basiert darauf. Die Wiederwahl als ständige Unsicherheitskomponente sorgt für kurzfristige Entscheidungen, um Erfolge einzufahren, die wiederum Sicherheit und Beruhigung hervorbringen sollen, damit es zur Wiederwahl kommt.
Es bleibt also ständige Neurozeption, Konkurrenz und Kämpfen. Als Nachweis eignet sich jede Bundestagsdebatte, die nicht geprägt ist von gemeinsamer Diskussionkompetenz, sondern von Richtung- und Falschdenke, Abwertung der Opposition und Kämpfen für das eigene. Auch hier reine Durchhaltestrategien gegen ein verunsichertes Nervensystem und die Nachrichten sind entsprechend voll von Kritik an nicht ausgereiften Entscheidungen. Solche Entscheidungen sind in diesem Zustand nur schwer möglich.
Augen auf
Diese Art von Mechanismen finden wir überall, solange uns nicht klar ist, wie unser Nervensystem funktioniert und massiv lenkt und wir dieses Wissen nicht einziehen lassen in unser tägliches Handeln. Wenn nun auch klar wird, dass Vertrauen erst dann wachsen kann, wenn wir uns sicher fühlen, dann entsteht bei Dir womöglich langsam ein ähnliches Gefühl, wie es sich vor einiger Zeit bei mir einstellte. Es fühlte sich überwältigend an und wie eine unleistbare Aufgabe. Schnell landet man in der Ecke der Systemkritiker und resigniert, denn was soll man denn ändern, wenn sich das System nicht ändert? Diese Art von Opferhaltung kenne ich durchaus, bin aber der Meinung, dass sich durchaus etwas ändern lässt.
Die gute Nachricht ist, dass es ganze Generationen ab den Millennials gibt, die mehr oder weniger bewusst als Musterbrecher unterwegs sind und sich abgrenzen. Hierin liegt eine Chance, aus dem Durchhalten ins gemeinsame Gestalten zu kommen. Planetary Boundaries als Stichwort: Unsere Rohstoffe gehen aus und auch hier braucht es neue Lösungen, die irgendwann jenseits von Wachstum stattfinden müssen. Die Sinnleere, die fühle verspüren und einem Gefühl von, da muss es doch mehr geben. Ja tut es, und das findet jenseits des Überlebens und Durchhaltens statt. Nur wie kommen wir dahin?
Was bringt Vertrauen?
Das Kapitel kann ich kurze halten. Alles! Vertrauen und Sicherheit sind die Grundlage für unser Nervensystem, um gut zu funktionieren, um sinnvolle Entscheidungen zu treffen, herzliche Beziehungen zu pflegen, unsere beste Leistung abzurufen, kreativ zu sein, Grenzen anzuerkennen, aufhören uns gegenseitig zu überlasten und überfordern, uns miteinander zu freuen, statt das Gefühl zu haben, uns durchsetzen zu müssen. Soll ich noch weitermachen?
Wie entsteht Sicherheit und Vertrauen?
Meiner Erfahrung nach, sind dafür mehrere Puzzlestücke notwendig. Als erstes geht es um Bewusstsein und ein Verständnis dafür, worin wir eingebettet sind, kulturell, historisch, familiär und individuell. Es braucht ein Bewusstsein für Ursache und Wirkung und die Folgen auf uns selbst, unsere Beziehungen, unsere Arbeitswelt, unsere Wirtschaft und die globale Situation. Es braucht Wissen über die Mechanismen, wie unser Nervensystem und unsere Psyche funktionieren, wie es sich anfühlt, wenn wir im Aushalten, Durchhalten und Überleben unterwegs sind. Denn vieles traumatisches fühlt sich sehr vertraut an, einfach deshalb, weil wir es nicht anders kennen. Dab Dana nannte es ein „home away from home“, also ein vertrauter Zustand, der sich wie Zuhause anfühlt, aber nicht das gesunde Zuhause ist. Es braucht Mut, den vermeintlich sicheren Hafen zu verlassen, Unsicherheit zuzulassen, um dann gesunde Sicherheit zu entwickeln, die dann Vertrauen zulässt. Es braucht es einen Entschluss aus diesen Mustern aussteigen zu wollen und es ist Arbeit, konstante, fleißige, konsequente und dauerhafte Arbeit an diesem Thema. Am Ende des Tages geht es um Zeit, die im Kalender geblockt ist, damit sie frei ist und nicht geopfert wird für andere Aufgaben. Dann geht es darum, sich auf die aufregendste Reise zu machen, die wir Menschen unternehmen können: Sich selbst kennenlernen, sich fühlen lernen, alte Muster hinter sich lassen, echtes Vertrauen und Sicherheit erleben, tiefe Beziehungen leben, gestalten statt gehetzt sein und erleben, wie wir Menschen uns zugewandt sein können. Denn der Mensch ist von Grund auf ein soziales Wesen, anderen zugewandt und unterstützend, wenn wir uns sicher fühlen. Das ist tief in unserer DNS verwurzelt, wir sind die Guten! Wir verunsichern uns nur ständig und permament, wodurch alles ernst wirkt, manchmal sogar bedrohlich und dann geht’s plötzlich um Absichern, statt um spielerisch gestalten.
Ende des Gedankenexperiments
Ich will Dich wieder aus meinem kleinen Gedankenexperiment entlassen. Danke, dass Du bis hier durchgehalten hast. Es gab bestimmt Momenten des Kopfschüttelns und Wunderns, all das ist wunderbar. Natürlich habe ich ein komplexes Feld ziemlich eingedampft und verallgemeinert und natürlich ist hier Kritik erlaubt und berechtigt. Dennoch hoffe ich, dass meine kleine Reise in die Welt von Vertrauen und Sicherheit gezeigt hat, wie wenig selbstverständlich diese Kompetenzen sind und erst recht, weil es keinen Ort gibt, an dem wir uns damit bewusst beschäftigen. Es gibt kein Schulfach dazu. Die eigenen Eltern können es nur so gut weitergeben, wie sie es selbst erlernt und in ihrer Generation erlebt haben. Auch Ausbildung und Studium taugen nur bedingt, auch wenn es überall sicherlich die Chance gibt, positive Erfahrungen mit einzelnen Menschen zu machen. Das reicht aber noch nicht aus, ein professionelles Verständnis und Handlungskompetenzen aufzubauen. Vor Allem, weil Vertrauen und (Un)sicherheit Themen sind, die schnell Angst machen können, denn gefühlt geht es um was und das ist die eigene Unversehrtheit. Der Weg ins Spielerische mag da durchaus weit wirken. Vielleicht, aber jeder Schritt dorthin lohnt sich, vertrau mir 😉
Ready? Let’s go
Wie cool, dass Du Bock hast, denn genau darum geht’s mir in meiner Arbeit. Leider gibt es für diese Herausforderung keine Abkürzung und einfache Methode, die man schnell übt und dann klappt das schon mit dem Vertrauen. Dennoch habe ich versucht eine Modell zu entwickeln, dass leicht zu verstehen und anwendbar ist, den circle of trust. Du findest hierzu einen eigenen Artikel. Viel Freunde damit.